Gliederung

 

 

Funktion

 

Schließlich ist zu fragen nach der Funktion der anbetenden Figuren an einem prominenten Ort wie dem Kircheneingang und der Intention ihrer Auftraggeber, bei denen es sich um den Gründer des Klosters, den Stifter des Werks oder um den Abt als Vertreter des Konvents handeln kann.

 

Tatsächlich war das Kirchenportal ein Ort, an dem nicht selten der Gründer des Klosters oder der Erbauer der Kirchen gedacht wurde, was den Inschriften beispielsweise der Tympana von Egmond/Holland118 (unten) und Herrenalb119 zu entnehmen ist. Besonders an dieser exponierten Stelle konnte man die Fürbitte aller Kirchenbesucher erhoffen.120 Vielleicht galt die Abbildung eines weltlichen Gründers und das damit einhergehende Gedenken am Kirchenportal bei den cluniazensischen Reformklöstern sogar als Ersatz für ein repräsentatives Grab in der Kirche, da weder für Adalbert von Calw121noch für Adalbert von Zollern122 überliefert ist, wo sie bestattet wurden. Denn ein ehrenvolles Hochgrab in der Mitte der Peter und Pauls-Kirche – „in medio ecclesiae“ – hatte kein weltlicher Stifter, sondern Abt Wilhelm 1091 erhalten, wie die „Vita Wilhelmi“ berichtet, dessen Inschrift ihn als Abt und ersten Gründer – „primus fundator“ – des Klosters Hirsau bezeichnete.123

 

24 Egmond ba
Amsterdam, Rijksmuseum: Tympanon der Klosterkirche von Egmond (Bild: Ligtenberg, Tafel 1)

 

Die Kleidung der zum Vergleich herangezogenen Dargestellten in Mönchskutten – wie in St. Ulrich Abb., Alpirsbach Abb., St. Paul im Lavanttal Abb. und Neuwiller-lès-Saverne Abb. – ließ jedoch Zweifel aufkommen, ob es sich immer um die Gründer oder Stifter oder aber um Mönche als Vertreter der reformierten Ordensgemeinschaft handelte. Allerdings sind ab der Mitte des 11. Jahrhundert nicht wenige Klostergründer und Wohltäter in den begünstigten Konvent eingetreten – neben Adalbert von Calw in Hirsau und Adalbert von Zollern in Alpirsbach auch Hezelo in St. Georgen124 –, um als Mönch gekleidet oder auf dem Friedhof des Klosters bestattet den himmlischen Lohn zu erlangen.125

 

Denn zu den Hauptaufgaben von Reformklöstern cluniazensisch-hirsauer Prägung gehörte neben der strikten Befolgung der Benediktsregel, dem andauernden Gotteslob und der Messfeier das liturgische Gedenken an die Verstorbenen in Verbindung mit der Armenfürsorge.126 Schenkungen an das Kloster, bei denen es sich überwiegend um Grundbesitz, Wohn-, Ökonomie- und Sakralgebäude handelte127, ermöglichten nicht nur den Eintrag in das Verbrüderungsbuch – den „liber vitae“ – und das damit verbundene Gedenken an den Stifter über dessen Tod hinaus, sondern auch die Abtragung von Sündenschuld durch die Gabe von Almosen an die Armen. Da der Wohlstand von Klöstern vermehrt auf solchen Schenkungen „ad sepulturam“ von Laien basierte, denen als Gegenleistung Fürbitten der Mönchsgemeinschaft für ihr Seelenheil versprochen wurden, werden die Klöster sehr daran interessiert gewesen sein, neue Stiftungen zu erhalten.128

 

Möglichkeiten, nach außen hin die fromme, enthaltsame Lebensweise und das engelgleiche Leben129 der Konvente als Voraussetzung und Gewährleistung der besonderen Wirksamkeit ihrer Fürbitten zu demonstrieren, waren die Verbreitung von wunderbaren Ereignissen und Legenden, die auf die Fürbitten cluniazensischer Mönche zurückzuführen waren,130 sowie die Darstellung von demütig betenden und sich unterwerfenden Mönchen am Kircheneingang – bei denen es sich auch um die Gründer oder Stifter des Klosters handeln kann –, die zusammen mit Engeln oder an deren Stelle der ewigen Anbetung und Anschauung des Erlösers im Jenseits teilhaftig waren.131

 

Als Propaganda angesehen werden können zudem rühmende Berichte über Cluny wie der von Rodulfus Glaber (985 bis um 1047), der in seinen „historiae“132 einen legendären, in Afrika lebenden Eremiten sagen lässt, dass „vor allen Klöstern des römischen Erdkreises Cluny herausragend die Seelen von dämonischer Beherrschung zu befreien [vermag]. So oft wird dort das Messopfer dargebracht, dass kein Tag vergeht, an dem nicht solch heiliger Handel Seelen aus der Gewalt der bösen Geister entreiße“.133 Und tatsächlich, so fährt Glaber fort, hätte er selbst gesehen, dass es in jenem Kloster üblich sei, wegen der vielen Brüder vom Sonnenaufgang bis zum Abendessen kontinuierlich die Messe zu feiern. Die Messfeiern seien so angemessen, rein und ehrerbietig ausgeführt worden, dass man sie eher für eine Darbietung von Engeln denn von Menschen gehalten hätte – „magis angelica quam humana exibitio putabatur“. Petrus Venerabilis (Abt von Cluny 1122–1156) überbot diese Aussage noch, wenn er resümierte, dass das Kloster Cluny wegen seiner Frömmigkeit, seiner strengen Disziplin, der Anzahl der Mönche und der Einhaltung aller mo­nas­tischen Regeln die beinahe in der ganzen Welt bekannteste, einzigartige und allgemeine Zufluchtsstätte der Sünder – „refugium peccatorum“ – sei.134

 

Schon Adalbert von Calw hatte nach den Angaben im sogenannten Hirsauer Formular (DH IV 280) von 1075 Kloster Hirsau nicht nur für die Hoffnung und den Lohn des ewigen Lebens, die ewige Ruhe der Seelen und für das tägliche Gedenken an sich und seine Familie, sondern auch zur Vergebung aller Sünder – „ob remissionem omnium peccatorum“ – wiederherstellen lassen.135

 

Der Konvent von Hirsau war offenbar auch in der Öffentlichkeit darum bemüht, durch frommes und strenggläubiges Auftreten die Menschen für sich zu gewinnen, was dem im frühen 12. Jahrhundert in satirischen Versen verfassten Brief Lorscher Mönche an Heinrich V. zu entnehmen ist,136 in dem diese sich ausführlich über das frömmelnde Gebaren der Hirsauer beklagen: „So würden die Hirsauer diejenigen, von denen sie glauben, dass sie ihre Anhänger seien, unterwürfig begrüßen mit den Worten: Gnade und Friede seien mit Euch, segnet und vertraut uns, tausendmal betet unsere Schar das Vater Unser für euch. Hundertmal würden sie, auf die Knie fallend, mit den Bärten den Fußboden fegen, damit das wankelmütige Volk sie für Diener des Herrn halten solle“.137

 

Dass die Hirsauer Mönche sich selbst nach dem Vorbild der Klosterpatrone Petrus und Paulus sowie der Engel als Diener Christi gesehen haben,138 geht aus einem vermutlich von Hirsauer Mönchen unter dem Namen Urbans II. gefälschten Papstprivileg aus der Mitte des 12. Jahrhunderts hervor, in dem die Klöster der Hirsauer Kongregation als „habitacula servorum Christi“ bezeichnet werden.139

 

Ein ähnliches Selbstverständnis der cluniazensisch-hirsauischen Kongregation kommt auch in der nicht mehr erhaltenen Inschrift an der Brunnenschale von St. Ulrich Abb. zum Ausdruck, die – je nach Lesart – besagt, dass der von Gott erfüllte (Benediktiner)Orden wie die Apostel der Welt durch das Wort den Glauben verkünde: ORDO DEO PLENVS MVNDO CLAMAT DVODENVS QVOD VERBO FIDEM […].140 Hier werden die Mönche, die auf der Brunnenwand unter dem thronenden Gottessohn und der Muttergottes abgebildet sind, mit den Aposteln gleichgesetzt, in deren Nachfolge sie ein brüderliches und regeltreues Leben in Armut führen und der Welt das Wort Gottes verkünden.141

 

Joomla templates by a4joomla