von Jiří Hönes

 

Ein Landmann pflügte sein Ackerland,
Ein altes rost’ges Schwert er fand,
Das verlor vor viel hundert Jahren schon
Ein Krieger, der blutigsten Schlachten entfloh’n.
Er tat es auch nach Haus mitbringen ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Und er trägt zu der Schmiede hin das Schwert:
„Ein’ Pflugschar schmiedet mir, Meister wert!“
Der Meister warnend zurecht ihn weist:
Im Schwert da wohnt ein besonderer Geist,
Läßt schwer sich zur Arbeit dingen ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Doch der andre beharrt auf seinem Sinn
Und verheißt dem Meister guten Gewinn.
Der schmelzt es ein und schmiedet’s gut,
Wie glüht’s, wie zischt’s in des Ofens Glut,
Wie sprüht’s vor des Hammers Schwingen ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Und wie der Ackermann sein Feld
Mit der Pflugschar zum erstenmal bestellt,
Dringt’s ächzend in den Boden ein,
Mag wohl nicht gerne Pflugschar sein.
Ja, schwer will die Arbeit gelingen. ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Wo nur ein Stein sonst, da bricht ein Stoß
Wie von einem Felsblock die Pflugschar los.
Der Landmann, eilig zur Flucht gewandt,
Die Pflugschar läßt an der Straße Rand;
Das geschieht nicht mit rechten Dingen ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Im Dorf war Hochzeit. Von lustigem Schmaus
Spät abends gingen die Burschen nach Haus,
Sie gingen erhitzt von Tanz und Wein.
Was blinkt dort, es mag Eisen sein:
Mein ist’s, wer will mir’s entringen? ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

„Was geht dich die Pflugschar an, Gesell’?“
„Gib her!“ so ruft’s und entreißt’s ihm schnell.
Und sie schlagen sich, reißen sich’s aus der Hand.
Das Schwert hat zum alten Gewerb sich gewandt.
Wie kreist’s in mächtigen Schwingen.
Hütet euch vor alten Klingen!

 

In Strömen das Blut floß auf den Grund,
Und es sanken die drei zum Tode wund.
Drum hat man die Kreuze gebaut aus Stein,
Die Pflugschar soll drunter begraben sein,
Zu meiden des Bösen Schlingen ―
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Drum wehrt euch, wehrt euch, die ihr begehrt,
Zum Pfluge zu wandeln das Ritterschwert.
Noch blüht so manches edle Haus
Und die Rittertugend, sie starb nicht aus,
Ihr werdet sie nimmer bezwingen.
Hütet euch vor alten Klingen!

 

Diese in holprigen Knittelversen verfasste Ballade erschien 1925 in der Dezemberausgabe der Blätter des Württembergischen Schwarzwaldvereins. Sie war von dem Stammheimer Hauptlehrer Gottlob Eberle eingesandt worden. Er vermerkte dazu, er habe sie als Handschrift in der Sammlung seines verstorbenen Großvaters, des Schulmeisters E. Buck in Emberg, gefunden und sie stelle „inhaltlich allem Anscheine nach die in Versform gebrachte Fassung einer örtlichen Überlieferung dar.“ [1] Die besagten drei Kreuze standen seinerzeit außerhalb des Ortes an der Landstraße, wo der Feldweg nach Calw von derselben abzweigt. [2] Eines davon blieb erhalten und befindet sich heute mit zwei weiteren Steinkreuzen auf dem Rasenplatz bei der Stammheimer Kirche.

steinkreuze stammheim
Die drei Kreuze auf dem Stammheimer Kirchhof. Das rechte davon gehörte einst zu der Gruppe, die Seckendorff in seiner Ballade besungen hat.

 

Eberle konnte nicht wissen, dass sein Großvater den Text aller Wahrscheinlichkeit nach aus der 1876 erschienenen sechsten Ausgabe von Georg Jägers Schwäbischer Lieder-Chronik abgeschrieben hatte, da dieser offenbar weder Autor noch Quelle notiert hatte. Die Lieder-Chronik war ein zwischen 1875 und 1885 in loser Folge erschienenes Heftlein mit Gedichten württembergischer Autoren wie Eduard Paulus, Carl und Richard Weitbrecht und zahlreichen weiteren, deren Namen heute kaum mehr bekannt sind. Einer von ihnen war Eduard von Seckendorff, der Verfasser der Stammheimer Steinkreuz-Ballade.

 

Sein voller Name lautete Eduard Christoph Ludwig Karl Freiherr von Seckendorff-Gudent, er wurde am 3. Mai 1813 als Sohn eines Oberregierungsrats in Stuttgart geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Ellwangen studierte er in Tübingen Rechtswissenschaften, Philosophie und Philologie und begann bereits zu Studienzeiten mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit. 1834 erschien sein Trauerspiel Der Irre, welches er noch unter dem Pseudonym Odoardo veröffentlichte. 1838 legte er die zweite Staatsprüfung ab und wurde zur Ausübung des Richteramts befähigt. Bald darauf hatte er bis zum Ende des Jahres eine Stelle beim Oberamtsgericht in Calw inne, im Jahr darauf eine solche in Ulm. Doch schon 1840 verließ er den Staatsdienst, um sich ausschließlich der Literatur zu widmen.

 

 

Örtliche Überlieferung oder dichterische Fantasie?

 

Die Ballade von den drei Kreuzen scheint bereits in seiner Calwer Zeit entstanden zu sein, unter einer von vier handschriftlichen Versionen in seinem Nachlass findet sich die Notiz „in Calw gedichtet“. [3] Gedruckt wurde sie zu seinen Lebzeiten wohl nicht, in einer Sammlung seiner im Druck erschienenen Gedichte findet sich kein Hinweis darauf. [4] Was an dem Text tatsächlich „örtliche Überlieferung“ ist, wie Eberle später vermuten sollte, ist fraglich. Von Seckendorff hat beispielsweise ein Gedicht namens Liebenzell hinterlassen, in dem er sehr frei mit dem Erkinger-Stoff umgeht. Im Gegensatz zu manch anderem Dichter von Sagenballaden hielt er sich offenbar nicht sehr eng an die mündlichen Vorlagen. Der einzige Hinweis auf eine Sage über die Stammheimer Kreuze findet sich bei Bernhard Losch: „Am ehemaligen Standort der drei Kreuze mit Pflugschar sollen sich drei Burschen mit einer Pflugschar gegenseitig umgebracht haben.“ [5] Als Quelle für diese Sage gibt er allerdings eben jenen Aufsatz von Eberle in den Blättern des Schwarzwaldvereins an und fügt hinzu: „mit Gedicht“.

 

Sagen von gegenseitigem Totschlag in Verbindung mit Steinkreuzen sind zwar weit verbreitet, doch fehlt hier der eindeutige Hinweis. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass die ganze Geschichte um den Fund des Schwertes, das Umschmieden und die Weigerung des Metalls, als Pflugschar benutzt zu werden, keine volkstümliche Überlieferung, sondern vielmehr dichterische Fantasie Eduard von Seckendorffs ist. In der erst nach seinem Tode herausgegebenen Sammlung seiner Gedichte taucht die Ballade ebenfalls auf, doch ist hier eine weitere Strophe vorangestellt:

Was deuten die steinernen Kreuze dort?
Wohl mögen sie künden blutigen Mord. ―
„Das ist eine alte schaurige Mähr’,
Ich will sie erzählen, auf euer Begehr:
Mein Ehni sprach, wollt er sie singen:
Hütet Euch vor alten Klingen!

Diese erweckt zwar den Anschein einer tatsächlichen Erzählsituation, lässt sich jedoch ebenfalls nicht als Garantie für die „Volkstümlichkeit“ des Stoffes heranziehen. Die Version aus der Lyriksammlung weicht auch sonst in einigen Punkten von der in der Lieder-Chronik abgedruckten ab, so heißt es in der zweiten Strophe statt der „blut’gen Schlacht“ etwa „Döffinger Schlacht“. In einer der vier erhaltenen Handschriften stand ursprünglich „blutigsten“, was nachträglich gestrichen und durch „Döffinger“ ersetzt wurde.

 

Im Hinblick auf die letzte Strophe der Ballade ist es nicht uninteressant, dass von Seckendorff einem alten fränkischen Rittergeschlecht entstammte, das sich bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt: „Noch blüht so manches edle Haus / Und die Rittertugend, sie starb nicht aus“. Dies kann demnach auch als humoristische Anspielung auf die eigene Herkunft verstanden werden.

 

 

„... in heiteren Kreisen beliebte Persönlichkeit“

 

Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst schuf von Seckendorff übrigens noch einige Werke: Zusammen mit Adelbert von Keller gab er 1841 eine Übertragung von Volksliedern aus der Bretagne heraus, 1863 erschien eine Reimchronik über Herzog Ulrich. Sein bekanntestes Werk blieb jedoch die Versdichtung Der Civil-Process von 1843, eine Parodie auf Schillers Lied von der Glocke, die anschaulich den damaligen Gerichtsalltag schildert und mehrmals nachgedruckt wurde. Das Einkommen aus der Schriftstellerei reichte jedoch offensichtlich nicht für seinen Lebensunterhalt. 1847 nahm er eine Stelle beim Archiv des früheren Reichskammergerichts in Wetzlar an und kehrte 1854 in den württembergischen Staatsdienst zurück, nun allerdings als Archivar. Zunächst war er Sekretär im Staatsarchiv Stuttgart, ab 1868 schließlich Leiter des Filialarchivs in Ludwigsburg. [6]

 

Rudolf Krauß bezeichnete ihn in seiner 1899 erschienenen Schwäbischen Litteraturgeschichte als „eine witzige und den Witz herausfordernde, höchst originelle, darum weithin und namentlich in heiteren Kreisen beliebte Persönlichkeit“. [7] Großer literarischer Erfolg war ihm jedoch nicht beschieden und heute kennt man kaum mehr seinen Namen. Krauß attestierte ihm zwar ein gewisses Talent: „In seinen Liedern und Balladen wandelt er nicht ohne Glück auf den romantischen Wegen Uhlands, Kerners und Schwabs“, doch einschränkend fügte er hinzu: „[...] nur vermißt man zumeist die Weihe der künstlerischen Vollendung.“ [8]

 

Die Todesumstände Eduard von Seckendorffs schließlich sind nicht minder tragisch als die von ihm in der Ballade geschilderte Begebenheit. In der Ausgabe vom 22. Oktober 1875 war in der Schwäbischen Kronik zu lesen: „Ludwigsburg, den 20. Okt. Wieder haben wir einen Unglücksfall zu berichten, der sich gestern Abend auf dem hiesigen Bahnhof zutrug. Herr Archivvorstand v. Seckendorff versuchte aus dem von Stuttgart kommenden Zuge auszusteigen, ehe derselbe zu stehen kam. Er wurde vom Zuge erfaßt und unter die Räder des Waggons geworfen, unter welchem man den Verunglückten zerrissen fand.“ [9] – Reißerischer Journalismus war auch damals nicht unbekannt.

 


Anmerkungen

 

[1] Aus dem Schwarzwald. Blätter des Württembergischen Schwarzwaldvereins. 12/1925. S. 192.
[2] Vgl. Wilhelm Mönch: Heimatkunde vom Oberamt Calw. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Calw 1925. S. 82f.
[3] Novellen, Gedichte und Trauerspiele Eduard von Seckendorffs. Staatsarchiv Ludwigsburg PL 20 VI Bü 273.
[4] Im Druck erschienene Gedichte des Eduard von Seckendorff. Staatsarchiv Ludwigsburg PL 20 VI Bü 270.
[5] Vgl. Bernhard Losch: Sühne und Gedenken. Steinkreuze in Baden-Württemberg. Forschungen und Berichte zur Volkskunde in Baden-Württemberg 4. Stuttgart 1981. S. 199.
[6] Vgl. Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sechste völlig neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage. Leipzig 1913. Bd. 6, S. 389. Online verfügbar bei [Internet Archive].
[7] Rudolf Krauß: Schwäbische Litteraturgeschichte in zwei Bänden. Freiburg i. B. 1899. Bd. 2, S. 133. Online verfügbar bei [Internet Archive].
[8] Ebd.
[9] Schwäbische Kronik, des Schwäbischen Merkurs zweite Abtheilung vom 22. Oktober 1875. S. 2129.

 

 

Links

 

  • Maria Magdalena Rückert: Nicht jeder ist seines Glückes Schmied - Geschichte Eduards des Unglücklichen, Ersten Vorstands des Staatsfilialarchivs Ludwigsburg. [Landesarchiv Baden-Württemberg]. 
  • Allgemeine Deutsche Biographie: Eduard Freiherr von Seckendorff-Gudent. [Wikisource].
  • Dokumentation der Stammheimer Steinkreuze. [Suehnekreuz.de]

     

     

Joomla templates by a4joomla