Von Ste­fan Win­ter­man­tel

 

Wie der Codex Hirsau­gi­en­sis berich­tet1, wurde Hirsau von einem Gra­fen Erlafried zur Regie­rungs­zeit Lud­wigs des From­men um 8302 als Bene­dik­ti­ner­klos­ter gegrün­det. Des­sen Sohn Not­ing, Bischof im nord­ita­lie­ni­schen Ver­celli, hatte die ursprüng­lich in der Mai­län­der Dio­ny­si­us­kir­che ver­wahr­ten Gebeine des hl. Aure­lius auf väter­li­chen Grund gebracht. Sie seien zunächst in einem dem hl. Naza­rius geweih­ten Kirch­lein, wel­ches auf einem Berg lag, auf­be­wahrt wor­den, spä­ter in der am Fuß des Ber­ges errich­te­ten Klos­ter­kir­che.

Die­ses erste Hirsauer Klos­ter geriet in spä­te­ren Jah­ren in Ver­fall. Als im Jahr 1049 Papst Leo IX. sei­nem Nef­fen, dem Gra­fen Adal­bert II. von Calw, einen Besuch abstat­tete, hörte er vom ehe­ma­li­gen Aure­li­us­klos­ter. Dar­auf­hin suchte man nach den Gebei­nen des Aure­lius, zunächst aller­dings erfolg­los. Erst ein Fach­mann, der mit sei­nen Söh­nen aus Vene­tien gekom­men war, wurde durch den Wider­hall der Ham­mer­schläge auf eine kleine unter­ir­di­sche Kam­mer auf­merk­sam, in der der Sar­ko­phag mit den Gebei­nen des Hei­li­gen auf­ge­fun­den wurde. Der Papst trug dar­auf­hin sei­nem Nef­fen auf, das Klos­ter wie­der­her­zu­stel­len. Es sollte dann aber noch geraume Zeit ver­ge­hen, bis 1059 mit dem Bau der neuen Aure­li­us­kir­che begon­nen wurde. Am 4. Dezem­ber 1065 traf aus Ein­sie­deln Fried­rich ein, der erste Abt des neuen Klos­ters, beglei­tet von eini­gen Mön­chen. Graf Adal­bert setzte die­sen jedoch nach nur drei­jäh­ri­ger Amts­zeit 1069 wie­der ab; zum Nach­fol­ger berief er den Mönch Wil­helm aus dem Regens­bur­ger Klos­ter St. Emmeram.3 Am 4. Sep­tem­ber 1071 wurde die Aure­li­us­kir­che geweiht.

Den nun fol­gen­den Macht­kampf zwi­schen Graf und Abt ent­schied Wil­helm klar für sich, als Adal­bert 1075 das Klos­ter aus sei­ner Herr­schaft her­aus­löste.4 Nach dem erfolg­rei­chen Kampf gegen die Eigen­klos­ter­herr­schaft des Gra­fen stellte sich Wil­helm im gerade aus­bre­chen­den Inves­ti­tur­streit zwi­schen Hein­rich IV. und Papst Gre­gor VII. fol­ge­rich­tig ent­schlos­sen auf die Seite der geist­li­chen Macht. Einen ent­schei­den­den Ent­wick­lungs­schub erhielt das Klos­ter, als Wil­helm 1079 mit sei­nen Con­sti­tu­tio­nes Hirsau­gi­en­ses5 die Lebens­ge­wohn­hei­ten des bur­gun­di­schen Klos­ters Cluny über­nahm. In der Folge blühte das ehe­mals unbe­deu­tende Pro­vinz­klos­ter nicht nur im Inne­ren auf; durch Neu­grün­dun­gen, Über­nahme der Hirsauer Reform durch beste­hende Klös­ter und die Beru­fung von Hirsauer Mön­chen auf Abts– und Bischofs­stühle ent­stand eine bedeu­tende Reform­be­we­gung, deren räum­li­che Ver­brei­tung als Hirsauer Klos­ter­land­schaft bezeich­net wird. Weil auf­grund zahl­rei­cher Ein­tritte der Platz im Aure­li­us­klos­ter bald nicht mehr aus­reichte, ließ Wil­helm auf der ande­ren Seite der Nagold ab 1082 ein grö­ße­res Klos­ter bauen.6 Die neue, den Apos­tel­fürs­ten Petrus und Pau­lus geweihte Klos­ter­kir­che wurde nach der Angabe im Codex Hirsau­gi­en­sis am 2. Mai 1091 geweiht.7 Im dar­auf­fol­gen­den Jahr zog der Kon­vent ins neue Klos­ter um.8

Über die Nut­zung der Bau­ten des Aure­li­us­klos­ters in den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten ist wenig bekannt. Ein Stif­tungs­brief von 1468 bestimmt eine Erneue­rung, nach­dem das Klos­ter viele Jahre lang wegen Bau­fäl­lig­keit nicht mehr bewohnt und got­tes­dienst­lich genutzt wor­den sei.9 Wie TRI­THE­MIUS in sei­nen Anna­les Hirsau­gi­en­ses berich­tet, hob der Kon­vent jedoch bereits 1488 die Gebeine des Aure­lius aus sei­nem Grab und „legte sie, damit sie in der gro­ßen Feuch­tig­keit nicht gänz­lich ver­mo­der­ten, […] an einen tro­cke­ne­ren und wür­de­vol­le­ren Ort“10 — damit ist wohl die Peters­kir­che gemeint.

Abb1 Arelius Altartafel
Abb.1: Alt­ar­ta­fel Ende 15. Jh. (Aus­schnitt). Im Vor­der­grund die Hei­li­gen Bene­dikt und Aure­lius, im Hin­ter­grund das Aure­li­us­klos­ter.

 

Die äußere Gestalt der Aure­li­us­kir­che am Ende des 15. Jh. ist uns durch eine Alt­ar­ta­fel über­lie­fert. Abb.1 zeigt einen Aus­schnitt.11 Die West­front der Kir­che – auf der Abbil­dung rechts – wurde von zwei Tür­men gebil­det, zwi­schen denen sich eine kleine Vor­halle befand. Nach Osten schloss das Lang­haus mit dem Mit­tel­schiff und zwei Sei­ten­schif­fen von unge­fähr hal­ber Höhe an — zu sehen ist das nörd­li­che. Über der Kreu­zung von Mit­tel­schiff und Quer­haus erhob sich ein Vie­rungs­turm.

Abb2 Aurelius Innenraum
Abb.2: Der Innen­raum von St. Aure­lius heute

Nach­dem Hirsau in der Refor­ma­tion evan­ge­lisch gewor­den war, diente die Aure­li­us­kir­che dem Forst­ver­wal­ter als Scheu­ne und Stall. Im No­vem­ber 1584 wurde begon­nen, die Kir­che abzu­bre­chen. Dabei trug man das gesamte Mau­er­werk öst­lich des Lang­hau­ses mit Aus­nahme von Tei­len der west­li­chen und nörd­li­chen Wand des nörd­li­chen Quer­haus­arms bis auf das Fun­da­ment ab. Außer­dem fie­len dem Abriss der obere Teil des Mit­tel­schiffs und der Türme zum Opfer. Der noch brauch­bare Teil des Mau­er­werks im Bereich des Lang­hau­ses und der Turm­stümpfe wurde mit einem Dach über­deckt, um den Raum wie­der als Scheune zu ver­wen­den. Seit 1814 diente er der Hirsauer Saf­fian­fa­brik als Maga­zin; spä­ter wurde das Gebäude u. a. als Trup­pen­quar­tier, Turn­halle, Fest­saal und Garage genutzt. Nach Restau­rie­rungs­ar­bei­ten in den Jah­ren 1954/55 wurde es am 30.10.1955 für die katho­li­sche Kir­chen­ge­meinde Calw wie­der als Kir­che geweiht.12 Der heu­tige Kir­chen­raum (Abb.2) beschränkt sich auf das ehe­ma­lige Lang­haus. Die Stim­mung in der Kir­che wird durch die sechs mäch­ti­gen mono­li­thi­schen Säu­len geprägt. Jeweils drei Säu­len bil­den zwei Arka­den­rei­hen, die den Raum in nun­mehr drei gleich hohe Schiffe tei­len.

Abb3 Grundriss Bauphasen
Abb.3: Der Grund­riss der Aure­li­us­kir­che mit den ver­schie­de­nen Bau­pha­sen (Für eine großere Ansicht bitte auf das Bild kli­cken!)

Abb.3 zeigt den Kir­chen­grund­riss mit den ver­schie­de­nen Bau­pha­sen. Die Zeich­nung wurde auf der Grund­lage des Aus­gra­bungs­plans mit dem Maß­stab 1 : 100 erstellt,13 an dem auch die ein­ge­zeich­ne­ten Maße abge­grif­fen wur­den. Der Maß­stab erlaubt eine auf ca. 2 cm genaue Maß­ab­nahme; die ermit­tel­ten Maße sind aber auch von der Wie­der­ga­be­ge­nau­ig­keit des Gra­bungs­plans abhän­gig. Die erste Gra­bung wurde 1876 durch Edu­ard PAU­LUS d. J. durch­ge­führt. Sie deckte die Fun­da­mente der abge­bro­che­nen öst­li­chen Kir­chen­teile bereits größ­ten­teils auf.14 Der Hirsauer Pfar­rer Karl KLAI­BER ent­deckte bei sei­nen Gra­bun­gen 1891 bis 1895 die bei­den Apsi­den am Quer­haus und Teile der Fun­da­mente der ers­ten (karo­lin­gi­schen) Kir­che. Wei­tere Aus­gra­bun­gen folg­ten zwi­schen 1925 und 1989.15 Ein wich­ti­ges Ergeb­nis der Gra­bun­gen 1987 bis 1989 war die Klä­rung des Ost­ab­schlus­ses der ers­ten Kir­che.16

Nach Aus­kunft des Codex Hirsau­gi­en­sis war der erste Kir­chen­bau „nach Art der alten Kir­chen ohne die Unter­stüt­zung von Säu­len gebaut“.17 Obwohl zwi­schen­zeit­lich die Mei­nung auf­ge­kom­men war, es habe sich um eine drei­schif­fige Basi­lika gehan­delt, legt Mat­thias PUTZE über­zeu­gend dar, dass die erste Kir­che tat­säch­lich ein­schif­fig war.18 Sie bestand aus einem längs­recht­ecki­gen Saal, an den sich nach Osten ein annä­hernd qua­dra­ti­scher Chor­raum anschloss, der unge­fähr um eine Mau­er­stärke ein­ge­zo­gen war. Hier befand sich das als Stein­plat­ten­grab aus­ge­führte Aure­li­us­grab.19

Das Mau­er­werk des jet­zi­gen Kir­chen­baus fällt zu bedeu­ten­den Tei­len, jedoch nicht voll­stän­dig, in die Bau­zeit der zwei­ten (roma­ni­schen) Kir­che zwi­schen 1059 und 1071. Der Stumpf des Süd­turms ist mit Aus­nahme der Eck­qua­der gleich wie das Mau­er­werk des Lang­hau­ses aus Klein­qua­dern gemau­ert, die die­sem ers­ten Bau­ab­schnitt zuge­hö­ren. Dage­gen beste­hen am Nord­turm nur Berei­che der Süd– und Ost­wand aus Klein­qua­dern, die Außen­wände jedoch ganz aus Großqua­dern, die in die erste Hälfte des 12. Jh. zu datie­ren sind.20 Die­ser Unter­schied in der Mau­er­tech­nik erklärt auch, wieso der Nord­turm zusam­men mit dem West­gie­bel auf der Alt­ar­ta­fel von Abb.1 rot­braun, der Süd­turm wie die übrige Kir­che jedoch weiß dar­ge­stellt ist. Offen­bar war der aus roten Sand­stein­qua­dern gemau­erte Nord­turm im Gegen­satz zum Klein­qua­der­mau­er­werk unver­putzt geblie­ben.

Die Nord­wand des Lang­hau­ses besteht nur noch in ihrem öst­li­chen Teil bis in eine Höhe von ca. 2,50 m aus dem ursprünglichen roma­ni­schen Klein­qua­der­mau­er­werk. Auf der West­seite ist sie ganz erneu­ert. Hier befin­det sich heute eine Tür, deren Umrah­mung — mono­li­thi­sche Pfos­ten und ein gie­bel­för­mi­ger Sturz — aus älte­rer Ver­wen­dung stam­men.21 Da der erneu­erte Wand­ab­schnitt sicher­lich dem ursprünglichen Mau­er­ver­lauf folgt, dürf­ten die dort abge­nom­me­nen Maße von Abb.3 weit­ge­hend den anfäng­li­chen Zustand wie­der­ge­ben. Gegen­über der nord­sei­ti­gen Tür befin­det sich auf der West­seite der süd­li­chen Außen­wand — nahe am Süd­turm — eine zuge­mau­erte Tür­öff­nung, die sich eben­falls aus mono­li­thi­schen Pfos­ten und einem gegie­bel­ten Sturz zusam­men­setzt. Wei­ter öst­lich war ursprüng­lich eine wei­tere Tür ange­legt, die aber schon früh, ver­mut­lich gleich­zei­tig mit dem Ein­bau der west­li­chen Tür, zuge­mau­ert wurde. Bei­der­seits die­ser ehe­ma­li­gen Tür­öff­nung springt das Mau­er­werk im Sinne einer Por­ta­lum­rah­mung um ca. 10 cm nach außen vor.22 Nach innen bil­den die Außen­wände des Lang­hau­ses auf der Nord­seite bis in Höhe von 0,55 m, auf der Süd­seite bis in Höhe von 0,70 m über dem heu­ti­gen Fuß­bo­den einen 1530 cm weit vor­sprin­gen­den Sockel aus.23 Auf die­sem Sockel lie­gen die Plin­then von Halb­säu­len auf, an deren obe­rem Ende wür­fel­för­mige Halb­ka­pi­telle anschlie­ßen. Da die Sei­ten­schiffe – wie auch die Vor­halle zwi­schen den bei­den Tür­men – ursprüng­lich über­wölbt waren, dien­ten die ober­halb die­ser Kapi­telle lie­gen­den Kämp­fer als Gewöl­be­auf­la­ger.

Durch das öst­lich anschlie­ßende Quer­haus erhielt der Kir­chen­grund­riss die Form des latei­ni­schen Kreu­zes. Das Quer­haus war (in Ost-West-Richtung) gleich breit wie das Mit­tel­schiff, so dass die Vie­rung an der Kreu­zungs­stelle qua­dra­tisch war. Die Kom­par­ti­mente im nörd­li­chen und süd­li­chen Quer­haus­arm waren eben­falls annä­hernd qua­dra­tisch. An ihren öst­li­chen Sei­ten befan­den sich die halb­run­den Nebe­n­aps­i­den. Das an die Nord­o­st­e­cke des heu­ti­gen Kir­chen­baus nach Nor­den anschlie­ßende Gebäude Cal­wer­str. 6 ent­hält bedeu­tende Teile der West– und Nord­wand des nörd­li­chen Quer­hausarms.24 Ursprüng­lich als her­zog­li­ches Forst­haus erbaut, beher­bergt es heute das Hirsauer Klos­ter­mu­seum.

Öst­lich der Vie­rung setzte sich der Kir­chen­raum in das Pres­by­te­rium, den Altar­raum fort. Es war gleich breit wie die Vie­rung und das Mit­tel­schiff, jedoch im Gegen­satz zu den Räu­men im nörd­li­chen und süd­li­chen Quer­haus­arm nicht qua­dra­tisch, son­dern längs­recht­eckig. Da es voll­stän­dig inner­halb der Mau­er­züge des Chors der ehe­ma­li­gen karo­lin­gi­schen Kir­che lag, nahm das Aure­li­us­grab auch in der zwei­ten Kir­che eine pro­mi­nente Stel­lung in der Mit­tel­li­nie des öst­li­chen Altar­raums ein. Dem Pres­by­te­rium war im Osten die ein­ge­zo­gene halb­runde Haupt­ap­sis vor­ge­setzt. Quer zur Kir­chen­längs­achse zog sich von Süden zwi­schen dem Hei­li­gen­grab und dem Spann­fun­da­ment der Apsis ein Gang in die Tiefe, von dem aus die Höh­lung des karo­lin­gi­schen Stein­plat­ten­grabs nach Wes­ten abzweigte. Ent­ge­gen frü­he­rer Ver­mu­tun­gen wurde er erst nach­träg­lich ange­legt, wahr­schein­lich im spä­ten Mit­tel­al­ter.25

Nur kurze Zeit nach Fer­tig­stel­lung der Kir­che wur­den nörd­lich und süd­lich des Pres­by­te­ri­ums Neben­räume ange­fügt. Adolf METT­LER führt den Anbau die­ser Neben­räume auf die Ein­füh­rung der Clunia­zen­ser Gewohn­hei­ten durch Abt Wil­helm zurück (ab 1079). Sie soll­ten neben der Funk­tion als Altar­räume auch Stät­ten der ein­sa­men Andacht und frei­wil­li­gen Selbst­gei­ße­lung sein.26 Die Archi­tek­tur der Aure­li­us­kir­che war ursprüng­lich nicht von Cluny beein­flusst. Nach METT­LER ist sie frän­ki­scher Abstam­mung. Die wich­tigs­ten Ein­flüsse seien vom Rhein gekom­men, ins­be­son­dere von der Klos­ter­kir­che Lim­burg an der Hardt.27

Bereits 1915 beschrieb METT­LER rich­tig, dass sich das Mit­tel­schiff aus zwei Qua­dra­ten zusam­men­setzt, in wel­che die bei­der­sei­tige Arka­den­stärke ein­be­grif­fen ist. Fer­ner sei das Lang­haus als Gan­zes qua­dra­tisch.28 Die zweite Fest­stel­lung kann jedoch nicht zutref­fen, da nach den Maßen von Abb.3 seine Länge (15,50 m) die Breite (15,05 m) weit über­steigt. Das innere Vie­rungs­maß gibt METT­LER mit 5,76 m = 20 Fuß an.29 Über die Länge des Fuß­ma­ßes schweigt er sich aller­dings aus; rech­ne­risch wür­den sich 28,8 cm erge­ben. Für die Arka­den nennt METT­LER eine Mau­er­breite von 0,93 m30, das ist auch unge­fähr die Stärke der Außen­mau­ern (s. u.). Bei einer Fuß­länge von 28,8 cm wären das 3 ¼ Fuß (0,936 m). Das äußere Vie­rungs­maß und damit auch die Quer­haus­breite in Ost-West-Richtung hät­ten dann – eher unge­wöhn­lich – mit 20 Fuß + 3 ¼ Fuß + 3 ¼ Fuß = 26 1/2 Fuß kein ganz­zah­li­ges Maß.

Albrecht KOTT­MANN geht dage­gen von einem Werk­maß mit einer Länge zwi­schen 31 und 32 cm aus.31 Er erhält damit ein inne­res Vie­rungs­maß von 18 Fuß, eine Arka­den­stärke von 3 Fuß und ein äuße­res Vie­rungs­maß von 24 Fuß. Wenn die Breite der Sei­ten­schiffe von den Sockeln an den Außen­wän­den aus gemes­sen wird, beträgt sie 9 Fuß, die Hälfte der Mit­tel­schiff­breite. Zusam­men mit einer Gesamt­stärke (mit dem Innen­so­ckel) der Außen­wände von 3 1/2 Fuß ergibt sich eine Lang­haus­breite von 49 Fuß. Weil KOTT­MANN wie METT­LER von der irri­gen Ansicht aus­geht, der Grund­riss des Lang­hau­ses sei qua­dra­tisch, nimmt er seine Länge mit eben­falls 49 Fuß an.

Abb4 Aurelius Grundriss Raster
Abb.4: Das Ras­ter und die Pla­nungs­maße. Zur bes­se­ren Über­sicht sind nur die roma­ni­schen Bau­pha­sen dar­ge­stellt. (Für eine grö­ßere Ansicht bitte auf das Bild kli­cken!)

KOTT­MANNS Brei­ten­maße sind jedoch plau­si­bel. Unter Berück­sich­ti­gung von METT­LERS Beob­ach­tung, dass sich das Mit­tel­schiff unter Ein­be­zie­hung der Arka­den­stärke aus zwei Qua­dra­ten zusam­men­setzt, beträgt seine Länge das Dop­pelte des äuße­ren Vie­rungs­ma­ßes, also nicht 49 Fuß, son­dern 2 × 24 Fuß = 48 Fuß. Es fällt auf, dass mit Aus­nahme der Außen­wand­stärke und der Lang­haus­breite alle Maß­zah­len durch 3 teil­bar sind: die Arka­den­stärke (3 Fuß), die Sei­ten­schiff­breite (9 Fuß), das innere Vie­rungs­maß bzw. die Mit­tel­schiff­breite (18 Fuß), das äußere Vie­rungs­maß (24 Fuß) und die Lang­haus­länge (48 Fuß). Des­halb liegt die Über­le­gung nahe, der Grund­riss von St. Aure­lius könnte auf der Basis eines Qua­dra­tras­ters mit einer Maschen­weite von 3 Fuß geplant wor­den sein. Abb.4 zeigt den Kir­chen­grund­riss, über­la­gert mit einem der­ar­ti­gen Ras­ter. Es ist offen­sicht­lich, dass er zu gro­ßen Tei­len die­sem Ras­ter unter­liegt. Eine Ras­ter­ein­heit ist 94,05 cm groß, das ent­spricht 3 Fuß mit 31,35 cm Länge. Die­ses Maß ergibt eine sehr gute Über­ein­stim­mung mit der tat­säch­li­chen Situa­tion. Ein ande­res Werk­maß kommt als Grund­lage des Qua­dra­tras­ters nicht in Frage. Wäre eine Ras­ter­ein­heit 2 1/2 Maß­ein­hei­ten groß, ent­sprä­che das einem Werk­maß von 37,62 cm, bei 3 1/2 Maß­ein­hei­ten einem Werk­maß von 26,87 cm. Da die Länge des in Deutsch­land im Bau­we­sen des Mit­tel­al­ters ver­wen­de­ten Fußes unge­fähr zwi­schen 27,5 und 35 cm vari­ierte, schei­den beide Werk­maße aus. Das beim Bau von St. Aure­lius ver­wen­dete Werk­maß war also unge­fähr 31,35 cm lang.

Bei den in Abb.4 ein­ge­tra­ge­nen Fuß­ma­ßen han­delt es sich um die Pla­nungs­maße, die beim Bau der Kir­che vom ver­ant­wort­li­chen Pla­ner vor­ge­ge­ben wur­den. Wie genau diese Soll­maße mit den tat­säch­li­chen Ist­ma­ßen über­ein­stim­men, hängt in ers­ter Linie von der Genau­ig­keit der Bau­aus­füh­rung ab. An mit­tel­al­ter­li­chen Bau­ten muss immer mit einer unter­schied­lich gro­ßen Bau­un­ge­nau­ig­keit gerech­net wer­den. Hinzu kom­men nach­träg­li­che Ver­än­de­run­gen des Bau­kör­pers. Fer­ner ist zu berück­sich­ti­gen, dass die den Maßen von Abb.3 zugrunde lie­gende Plan­auf­nahme die tat­säch­li­chen Ver­hält­nisse auch nicht völ­lig prä­zise wie­der­ge­ben kann. Die Breite des nörd­li­chen Sei­ten­schiffs misst – vom Sockel der Außen­wand aus gemes­sen – bei­spiels­weise 2,75 m, die Breite des süd­li­chen Sei­ten­schiffs jedoch 2,85 m, obwohl bei­den Maßen sicher­lich das glei­che Soll­maß von 9 Fuß (2,82 m) ent­spricht. Um den Grad der Über­ein­stim­mung der Ist– und Soll­maße dar­zu­stel­len, sind die Abmes­sun­gen von Abb.3 (und Abb.5) in Tab.1 zusam­men­ge­fasst, jeweils mit dem gemes­se­nen Ist­maß in m, dem Soll­maß in Fuß und in m sowie der Dif­fe­renz zwi­schen Ist­maß und Soll­maß.

Sehr deut­lich zeigt sich die Bau­un­ge­nau­ig­keit auch an den Außen­wän­den des Lang­hau­ses. An des­sen west­li­chem Ende beträgt ihre Stärke zusam­men mit dem Innen­so­ckel im Nor­den 1,27 m, im Süden jedoch nur 1,05 m (Abb.3). Im Nor­den liegt die Wand­stärke damit ca. 17 cm über dem Soll­maß von 1,097 m. Die­ser Unter­schied geht vor­nehm­lich auf das Konto der Sockel­breite und hat auch zur Folge, dass die Gesamt­breite auf der West­seite des Lang­hau­ses mit 15,50 m um 14 cm grö­ßer ist als das Soll­maß. Die Wand­stärke ober­halb des Sockels liegt hier im glei­chen Rah­men wie die Stärke der Mit­tel­schiff­wände (0,97 m und 0,93 m); am noch ursprünglichen Mau­er­werk der Süd­seite misst sie 0,93 m. 1989 konnte die Stärke der ver­blie­be­nen Mauer des nörd­li­chen Quer­hau­ses nach Ent­fer­nung der Boden­fül­lung im ers­ten Stock des dor­ti­gen Gebäu­des auf 0,92 m bestimmt wer­den.32 Ohne Berück­sich­ti­gung des Sockels kann also von einer ein­heit­li­chen Mau­er­stärke von 3 Fuß (0,941 m) aus­ge­gan­gen wer­den. Der Innen­so­ckel im Lang­haus wurde offen­bar als Podest für die Halb­säu­len ange­legt. Obwohl die Sockel­breite stark vari­iert, kann für sie ein ein­heit­li­ches Pla­nungs­maß von 1/2 Fuß ange­nom­men wer­den. Ohne den Sockel wür­den die Außen­wände um 1/2 Fuß nach innen rücken. Die Breite des Lang­hau­ses würde dann nicht 49 Fuß, son­dern – gleich wie die Länge – 48 Fuß betra­gen, so dass es tat­säch­lich exakt qua­dra­tisch wäre. Dies ist offen­sicht­lich der „Ide­al­plan“. Von die­sem wurde jedoch wegen der Anlage der Halb­säu­len abge­wi­chen: Um Platz für den Sockel zu schaf­fen, wur­den die Außen­wände um ca. 1/2 Fuß nach außen ver­scho­ben.

Die Abstände der Säu­lenach­sen betra­gen zwi­schen 3,69 m und 3,81 m, gemit­telt 3,77 m 12 Fuß (3,76 m), also 4 Ras­ter­ein­hei­ten. Wenn davon aus­ge­gan­gen wird, dass das Pla­nungs­maß für die Ansätze der Arka­den­bö­gen ober­halb der Säu­len in Längs­rich­tung mit 3 Fuß gleich groß war wie die Mau­er­breite, dann folgt aus dem Achs­ab­stand der Säu­len von 12 Fuß ein Bogen­durch­mes­ser von 9 Fuß bzw. ein Bogen­ra­dius von 4 1/2 Fuß. Wären die Säu­len gleich­mä­ßig im Raum ange­ord­net, müss­ten ihre Ach­sen in Abb.4 auf den Ras­ter­li­nien lie­gen. Offen­sicht­lich liegt hier ein Bau­feh­ler vor, denn die Säu­lenach­sen sind gegen­über den Ras­ter­li­nien ein­heit­lich nach Osten ver­scho­ben. Wäh­rend die Durch­mes­ser der Arka­den­bö­gen zwi­schen den Säu­len unge­fähr dem Soll­maß ent­spre­chen, sind die west­li­chen Bögen des­halb deut­lich grö­ßer. Idea­ler­weise müss­ten die Vor­la­gen am west­li­chen und öst­li­chen Ende der bei­den Arka­tu­ren 1 1/2 Fuß (0,470 m) lang sein: 2 × 1 1/2 Fuß (Vor­la­gen) + 3 × 3 Fuß (Ansätze der Arka­den­bö­gen) + 4 × 9 Fuß (Bogen­durch­mes­ser) = 48 Fuß (Lang­haus­länge). Auch hier wurde jedoch vom „Ide­al­plan“ abge­wi­chen, da sie tat­säch­lich nur ca. 0,330,34 m lang sind.

Abb5 Saeulenmasse
Abb.5: Die Maße an den Säu­len

Abb.5 zeigt die Abmes­sun­gen an den Lang­haus­säu­len nach der Dar­stel­lung im Kunstdenkmäler-Atlas von Edu­ard PAU­LUS.33 Die Län­gen­maße ober­halb der Plin­the fol­gen klar dem ermit­tel­ten Werk­maß von 31,35 cm. Die Höhe der Säu­len­ba­sis beträgt 0,46 m 1 1/2 Fuß (0,470 m). Kapi­tell und Kämp­f­er­platte sind zusam­men mit 0,96 m 3 Fuß (0,941 m) dop­pelt so hoch. Wie bereits METT­LER be­schrieb34, ist der Säu­len­schaft wie­derum dop­pelt so hoch wie Kapi­tell und Kämp­f­er­platte zusam­men, näm­lich 1,91 m 6 Fuß (1,881 m). Die Gesamt­höhe ober­halb der Plin­the beträgt 1 1/2 Fuß + 3 Fuß + 6 Fuß = 10 1/2 Fuß. Zusam­men mit dem Bogen­ra­dius von 4 1/2 Fuß ergibt sich für die Höhe eines Arka­den­bo­gens ober­halb der Plin­the somit ein Pla­nungs­maß von 15 Fuß. Auf­fal­lend ist, dass die Maße wie­der in Bezie­hung zur Größe der Ras­ter­ein­heit von 3 Fuß ste­hen. Von den übri­gen Maßen soll hier nur die Breite des Kapi­tells betrach­tet wer­den. Sie beträgt 0,87 m 2 ¾ Fuß (0,862 m). Das Kapi­tell ist also deut­lich schmä­ler als der ober­halb der Kämp­f­er­platte anschlie­ßende, 3 Fuß breite Arka­den­bo­gen. Ver­mut­lich soll­ten die Kapi­telle gegen­über der Arka­den­wand per­spek­ti­visch zu­rück­ge­nom­men wer­den.

Die Vor­halle zwi­schen den Tür­men ist 15 Fuß breit (Abb.4), das glei­che Maß wie die Höhe der Arka­den­bö­gen über den Plin­then. Vor­halle und Türme mes­sen in Längs­rich­tung der Kir­che 7 Ras­ter­ein­hei­ten, also 21 Fuß. Die Breite der Türme in Quer­rich­tung beträgt 18 1/2 Fuß, so dass die Türme gegen­über dem Lang­haus um 1 1/2 Fuß (eine halbe Ras­ter­ein­heit) vor­sprin­gen. Die Turm­breite von 18 1/2 Fuß bestä­tigt die an den Außen­mau­ern des Lang­hau­ses ange­stell­ten Über­le­gun­gen: Als „Ideal­maß“ kön­nen hier sicher­lich 18 Fuß ange­nom­men wer­den. Da die Lang­haus­breite zur Schaf­fung des Sockels für die Halb­säu­len gegen­über dem „Ideal­maß“ von 48 Fuß auf 49 Fuß erhöht wurde, muss­ten auch die nörd­li­chen und süd­li­chen Wände der Türme um 1/2 Fuß nach außen rücken, um den 1 1/2 Fuß gro­ßen Wand­vor­sprung am Über­gang zu den Tür­men bei­zu­be­hal­ten. Weil offen­sicht­lich die Breite der Vor­halle nicht ver­än­dert wer­den sollte, wurde die Turm­breite um 1/2 Fuß auf 18 1/2 Fuß erhöht. Ein Fens­ter in der Mitte der süd­li­chen Wand des Süd­turms ist der obere Teil der Ver­maue­rung einer 0,93 m brei­ten Tür.35 Sie hatte mit 3 Fuß (0,941 m) also die Größe einer Ras­ter­ein­heit.

In Abb.3 und Abb.4 sind die abge­bro­che­nen öst­li­chen Kir­chen­teile unter Zugrun­de­le­gung einer ein­heit­li­chen Mau­er­stärke von 3 Fuß nach den in Abb.4 ange­ge­be­nen Pla­nungs­ma­ßen ergänzt. Etwaige Mau­er­so­ckel oder sons­tige Mau­er­vor­sprünge blei­ben unbe­rück­sich­tigt. Es besteht eine gute Über­ein­stim­mung mit den Fun­da­ment­zü­gen. Die größte Breite der Kir­che maß 20,72 m 66 Fuß (20,69 m): 3 × 18 Fuß (inne­res Vie­rungs­maß) + 4 × 3 Fuß (Wand­stär­ken). Auch hier zeigt sich ein erheb­li­cher Bau­feh­ler: Die nörd­li­che und die süd­li­che Quer­haus­wand waren beide gegen­über dem Pla­nungs­maß um ca. 20 cm nach Nor­den ver­scho­ben, so dass der nörd­li­che Quer­haus­arm län­ger war als der süd­li­che. Die Gesamt­breite stimmt jedoch mit dem Pla­nungs­maß gut über­ein. Der Außen­ra­dius der bei­den Nebe­n­aps­i­den betrug 8 Fuß, der Außen­durch­mes­ser 16 Fuß. Nach dem Pla­nungs­maß waren sie an den 21 Fuß lan­gen öst­li­chen Quer­haus­wän­den jeweils mit­tig ange­ord­net.

Das Innen­maß des längs­recht­ecki­gen Pres­by­te­ri­ums folgte nicht dem Ras­ter­maß. Zu erwar­ten wären 21 Fuß (7 Ras­ter­ein­hei­ten), tat­säch­lich lag die Ost­wand jedoch 1 Fuß öst­lich der Ras­ter­li­nie, so dass das Pres­by­te­rium im Innen­maß 22 Fuß lang war. Inter­es­san­ter­weise folgt das Fun­da­ment der Ost­wand des erst in einer spä­te­ren Bau­phase ange­leg­ten Pres­by­te­ri­ums­ne­ben­raums wie­der der Ras­ter­li­nie, so dass seine Länge 21 Fuß betrug. Der direkt vor dem Spann­fun­da­ment der öst­lich vor­ge­setz­ten ein­ge­zo­ge­nen Haupt­ap­sis ange­legte Gang zum Aure­li­us­grab kann für die Bema­ßung des Pres­by­te­ri­ums keine Rolle gespielt haben, da er ver­mut­lich erst im spä­ten Mit­tel­al­ter ange­legt wurde. Die Haupt­ap­sis hatte, gemes­sen an den Fun­da­men­ten des Aus­gra­bungs­plans, eine Länge bzw. einen Außen­ra­dius von 3,18 m 10 Fuß (3,14 m) und eine Breite bzw. einen Außen­durch­mes­ser von 6,20 m 20 Fuß (6,27 m). Damit ergab sich eine Gesamt­länge der Kir­che von 128 Fuß.

Die Zahl 128 ist als 7. Potenz von 2 (27) mathe­ma­tisch beson­ders inter­es­sant. Damit wäre mög­lich, dass bei der Bema­ßung des Pres­by­te­ri­ums des­we­gen vom Qua­dra­tras­ter abge­wi­chen wurde, um als Gesamt­länge der Kir­che 128 Fuß zu erhal­ten. Inter­es­san­ter­weise wird gerade die Zahl 128 in einer der ganz weni­gen über­lie­fer­ten mit­tel­al­ter­li­chen Bau­be­schrei­bun­gen mit kon­kre­ten Maß­an­ga­ben genannt. In der Chro­nik von Saint-Bénigne, ver­fasst von einem unbe­kann­ten Chro­nis­ten kurz nach Mitte des 11. Jh., wird eine Beschrei­bung der 1001 gegrün­de­ten Abtei­kir­che des Klos­ters Saint-Bénigne in Dijon gege­ben. Dort heißt es über die Haupt­kir­che: „Diese ist in der Gestalt des Kreu­zes gebaut und hat eine Länge von 128 Ellen […].“36 Das kann viel­leicht ein Hin­weis sein, dass diese Zahl beson­dere Wert­schät­zung genoss. An der Aure­li­us­kir­che, eben­falls „in der Gestalt des Kreu­zes gebaut“, betrug die Länge von der West­seite bis zum Mit­tel­punkt der Vie­rung – hier kreuz­ten sich die Kir­chen­längs­achse und die Mit­tel­achse des Quer­hau­ses – 81 Fuß. Diese Zahl besitzt als 4. Potenz von 3 (34) eine gewisse Ver­wandt­schaft mit der Zahl 128.

Der Zahl 81 kann auch eine reli­giöse Sym­bo­lik zuge­schrie­ben wer­den, denn als 34 hat sie Bezug auf die Drei, die Zahl der gött­li­chen Tri­ni­tät. Wenn wir das von der Kir­chen­längs­achse und der Mit­tel­achse des Quer­hau­ses gebil­dete Kreuz betrach­ten, dann bezeich­net die Zahl 81 die Länge des west­li­chen Kreu­z­arms. Dass ein kreuz­för­mi­ger Kir­chen­grund­riss im Mit­tel­al­ter auf das christ­li­che Kreuz bezo­gen wurde, ist sicher37; dies kommt auch in der expli­zi­ten Erwäh­nung durch den Chro­nis­ten von Saint-Bénigne zum Aus­druck. Aus der Gesamt­breite am Quer­haus von 66 Fuß ergibt sich für die Länge der bei­den Kreuz­quer­arme ein Pla­nungs­maß von 33 Fuß. Auch hier ist ein Tri­ni­täts­be­zug erkenn­bar; außer­dem bezeich­net die Zahl 33 auch die Lebens­jahre Christi auf Erden. Sie fin­det eben­falls in der Chro­nik von Saint-Bénigne im Zusam­men­hang mit der Länge der dor­ti­gen St.-Michaels-Kapelle Erwäh­nung.38

Bereits die Maschen­weite des Qua­dra­tras­ters – 3 Fuß – gibt mit der Zahl der gött­li­chen Drei­fal­tig­keit eine christ­li­che Sym­bol­zahl wie­der, sogar die wich­tigste. Im Fol­gen­den sol­len kurz einige wei­tere Sym­bol­zah­len mit reli­giö­ser Bedeu­tung genannt wer­den, die sich im Grund­riss von St. Aure­lius wie­der­fin­den und die ande­rer­seits auch in der Bau­be­schrei­bung der Chro­nik von Saint-Bénigne vor­kom­men:

  • 8 Fuß betrug der Radius der Nebe­n­aps­i­den. Die Zahl Acht ist als Zahl der Auf­er­ste­hung und des Neuen Bun­des eine wich­tige christ­li­che Sym­bol­zahl. Tauf­kir­chen und Tauf­steine sind des­halb häu­fig acht­eckig. Auch die Gesamt­länge von 128 (2 × 8 × 8) Fuß hat einen gewis­sen Bezug zur Acht.
  • Der Radius der Haupt­ap­sis war dage­gen 10 Fuß lang. Die Zehn galt als Zahl der christ­li­chen Voll­kom­men­heit. Sie zeigt auch das in den Zehn Gebo­ten mani­fes­tierte gött­li­che Gesetz. Der Zehn wird außer­dem des­halb eine beson­dere Bedeu­tung zuge­mes­sen, weil sie alle Grund­zah­len bis Neun gewis­ser­ma­ßen in sich ein­schließt.
  • 15 Fuß breit ist die Vor­halle, 15 Fuß hoch sind die Arka­den­bö­gen ober­halb der Plin­then. Die beson­dere Bedeu­tung der Zahl 15 wurde in ihrer Zusam­men­set­zung aus ande­ren Sym­bol­zah­len gese­hen, z. B. 7 + 8. Sie ver­weist auch auf die 15 Stu­fen­psal­men, die mit den Stu­fen der Him­mels­lei­ter in Bezie­hung gesetzt wur­den.
  • 24 Fuß legen das äußere Vie­rungs­maß fest, damit auch die Mit­tel­schiff­breite unter Ein­be­zie­hung der Arka­den­stärke und die Quer­haus­breite. Ihren christ­li­chen Sym­bol­ge­halt erhält die Zahl 24 als dop­pelte 12 (12 Pro­phe­ten im Alten Tes­ta­ment, 12 Apos­tel im Neuen Tes­ta­ment) und als Hin­weis auf die 24 Ältes­ten der Offen­ba­rung (Offb 4, 4).

Es ist sicher nicht davon aus­zu­ge­hen, dass Saint-Bénigne für St. Aure­lius als Vor­bild gedient hat. Die par­al­lele Ver­wen­dung glei­cher Maß­zah­len an bei­den Kir­chen ist viel­leicht Aus­druck der Tat­sa­che, dass es Zah­len mit beson­de­rer reli­giö­ser oder mathe­ma­ti­scher Bedeu­tung gab, die häu­fi­ger als Maß­zah­len Ver­wen­dung fan­den als andere. Das heißt natür­lich nicht, dass sol­che Zah­len an jedem Kir­chen­bau ver­wirk­licht wur­den, auch nicht, dass sich hin­ter jeder zah­len­sym­bo­lisch „ver­däch­ti­gen“ Zahl tat­säch­lich eine Absicht ver­birgt. Die Gefahr einer Über­in­ter­pre­ta­tion ist bei der­ar­ti­gen Fra­ge­stel­lun­gen groß. Ange­sichts des hohen Stel­len­werts, den zah­len­mys­ti­sche Vor­stel­lun­gen im Den­ken des Mit­tel­al­ters ein­nah­men, ist es jedoch wahr­schein­lich, dass diese in vie­len Fäl­len auf die Pla­nung einer Kir­che Ein­fluss genom­men haben, ent­we­der durch bewusste Umset­zung von Sym­bol­zah­len oder auf einer intui­ti­ven Ebene. Der Ver­fas­ser hat bei der Unter­su­chung der Bel­se­ner Kapelle (Mössingen-Belsen) einige der genann­ten Sym­bol­zah­len eben­falls fest­ge­stellt: 8 Fuß beträgt dort die Größe einer Ras­ter­ein­heit, 15 Fuß die Außen­breite des Chors und die Raum­höhe, 24 Fuß die Innen­breite des Kir­chen­schiffs.39

Die Kon­struk­tion des Kir­chen­grund­ris­ses auf der Basis eines Qua­dra­tras­ters hat zur Folge, dass zwi­schen ver­schie­de­nen Abmes­sun­gen ganz­zah­lige Maß­ver­hält­nisse beste­hen. Sol­che Zah­len­ver­hält­nisse sah man als Abbild der gött­li­chen Ord­nung an. So setzt sich – wie schon erwähnt – die Länge des Mit­tel­schiffs (48 Fuß) aus zwei äuße­ren Vie­rungs­qua­dra­ten (24 Fuß) zusam­men (rote Qua­drate in Abb.4). Beide Maße ste­hen also im Ver­hält­nis von 2 : 1. Das innere Vie­rungs­qua­drat passt dage­gen genau vier­mal in den west­lich der Vie­rung gele­ge­nen Teil der Kir­che (blaue Qua­drate in Abb.4). Ein Ver­hält­nis von 2 : 1 bil­den auch die Mit­tel­schiff­breite (18 Fuß) und die Sei­ten­schiff­breite vom Innen­so­ckel der Außen­wand aus gemes­sen (9 Fuß). Das Innen­maß von der West­seite des Lang­hau­ses bis zum Mit­tel­punkt der Vie­rung war mit 60 Fuß gleich groß wie die größte Innen­breite im Quer­haus. Sie bil­det mit der Breite der Vor­halle (15 Fuß) ein Ver­hält­nis von 4 : 1.

Das 31,35 cm lange Maß ent­spricht annä­hernd dem sog. rhei­ni­schen Fuß mit ca. 31,4 cm Länge, der in spä­te­rer Zeit weite Ver­brei­tung fand und auch in Preu­ßen über­nom­men wurde. Als Bau­maß des Mit­tel­al­ters ist er nicht belegt. Auf­grund von Flu­r­ana­ly­sen will jedoch der Geo­graph Hans-Jürgen NITZ nach­ge­wie­sen haben, dass die­ses Fuß­maß im Rhein­land als Maß für die Feld­ver­mes­sung im Mit­tel­al­ter bis in den Raum von Mainz, im Früh­mit­tel­al­ter dar­über hin­aus bis süd­lich von Worms ver­brei­tet gewe­sen sei.40 Inwie­fern das Werk­maß tat­säch­lich die von METT­LER ver­mu­tete Beein­flus­sung der Aure­li­us­kir­che vom Rhein her unter­stützt, könn­ten nur Maß­un­ter­su­chun­gen an dor­ti­gen Kir­chen­bau­ten klä­ren. Am Speye­rer Dom soll aller­dings ein ande­res Fuß­maß mit 30,1 cm Länge ver­wen­det wor­den sein.41

Die Ergeb­nisse der Maß­un­ter­su­chung an St. Aure­lius las­sen sich also wie folgt zusam­men­fas­sen:

  • Das beim Bau der Aure­li­us­kir­che ver­wen­dete Werk­maß war ein Fuß mit ca. 31,35 cm Länge.
  • Der Kir­chen­grund­riss wurde zu gro­ßen Tei­len auf der Grund­lage eines Qua­dra­tras­ters mit 3 Fuß Maschen­weite geplant.
  • Bei der Pla­nung spielte ver­mut­lich die Zah­len­sym­bo­lik eine Rolle.

Der Ver­fas­ser hat sich bereits aus­führ­lich mit dem Grund­riss der Ruine der Peters­kir­che, der Nach­fol­ger­kir­che von St. Aure­lius, befasst.42 Im Hin­blick auf die genann­ten Ergeb­nisse an der Aure­li­us­kir­che kann der fol­gende Ver­gleich gezo­gen wer­den:

  • An der Peters­kir­che wurde mit 33,1 cm ein grö­ße­res Fuß­maß ver­wen­det als an St. Aure­lius. Die­ses Ergeb­nis wird durch Unter­su­chun­gen des Zie­gel­for­schers Ulrich KNAPP bestä­tigt. Er kommt durch den Ver­gleich von Hirsauer Zie­geln, die viel­leicht noch aus dem drit­ten Vier­tel des 11. Jh. stam­men, mit jün­ge­ren Zie­geln zu fol­gen­dem Ergeb­nis: „Ihre gerin­ge­ren Abmes­sun­gen legen nahe, dass das zur Zeit ihrer Anfer­ti­gung in Hirsau ver­wen­dete Fuß­maß klei­ner war als das im 12. Jahr­hun­dert gebräuch­li­che.“43
  • An der Peters­kir­che liegt wie an St. Aure­lius der Grund­riss­pla­nung ein kla­res Kon­zept auf der Basis eines Qua­dra­tras­ters zugrunde. Das Ras­ter an der Aure­li­us­kir­che ist jedoch mit 3 Fuß Maschen­weite erheb­lich eng­ma­schi­ger als das Ras­ter an der Peters­kir­che, des­sen Ras­ter­ein­heit 18 1/2 Fuß groß ist. In bei­den Fäl­len kann jedoch ein Bezug auf die Tri­ni­tät fest­ge­stellt wer­den, da sich die Größe der Ras­ter­ein­heit an der Peters­kir­che von der Zahl 111 ablei­tet (Tei­lung durch 6), die die gött­li­che Drei­ei­nig­keit sym­bo­li­siert.
  • Am Grund­riss der Peters­kir­che kön­nen eben­falls Maß­zah­len mit reli­giö­ser Bedeu­tung fest­ge­stellt wer­den. 33 Fuß – an St. Aure­lius die Länge eines Quer­haus­arms von der Mitte aus gemes­sen – bestimm­ten an der Peters­kir­che das innere Vie­rungs­maß. Im Gegen­satz zur Aure­li­us­kir­che drü­cken die Maß­zah­len an der Peters­kir­che zudem ein kla­res theo­lo­gi­sches Kon­zept aus, das die Kir­che als Ver­wirk­li­chung der bib­li­schen Him­mels­stadt kenn­zeich­net: 150 Fuß = 100 Ellen betrug die Länge bis zum Mit­tel­punkt der Vie­rung, ent­spre­chend der Länge des Tem­pel­ge­bäu­des der alt­tes­ta­men­ta­ri­schen Eze­chiel­vi­sion (Ez 41, 13); ins­ge­samt war die Basi­lika 216 Fuß = 144 Ellen lang, das Maß der Mauer des himm­li­schen Jeru­sa­lem aus der Offen­ba­rung des Johan­nes (Offb 21, 17). Die ent­spre­chen­den Maße an St. Aure­lius – 81 Fuß und 128 Fuß – sind zwar als Poten­zen von 3 und 2 eben­falls auf­ein­an­der bezo­gen, las­sen in ihrer Abfolge aber keine klare theo­lo­gi­sche Aus­sage erken­nen.

Das bemer­kens­wer­teste Resul­tat des Ver­gleichs zwi­schen den bei­den Hirsauer Kir­chen ist der Wech­sel des Fuß­ma­ßes inner­halb nur weni­ger Jahre. Er hängt ver­mut­lich damit zusam­men, dass als Bau­herr der Aure­li­us­kir­che Graf Adal­bert zu gel­ten hat, als Bau­herr der Peters­kir­che jedoch Abt Wil­helm. Denk­bar ist, dass die Ver­wen­dung eines ande­ren – grö­ße­ren – Fuß­ma­ßes mit der Beauf­tra­gung eines ande­ren Hand­wer­ker­trupps zusam­men­hängt, aber auch, dass damit der Bruch mit der Eigen­klos­ter­herr­schaft des Gra­fen zum Aus­druck gebracht wer­den sollte. Das neue Fuß­maß ent­spricht annä­hernd dem sog. drusia­ni­schen Fuß mit einer Länge von ca. 33,3 cm, der nach den Anga­ben des römi­schen Feld­mes­sers HYGI­NUS beim Stamm der Tung­rer in Bel­gien benutzt wurde.44 Ein Fuß­maß die­ser Größe war im Mit­tel­al­ter noch in Gebrauch. Als sog. bene­dik­ti­ni­scher Werk­schuh wird seine Ver­wen­dung auch den Bene­dik­ti­nern zuge­schrie­ben.45 Woher das neue Fuß­maß nach Hirsau kam, könn­ten nur umfang­rei­che Maß­ver­glei­che mit ande­ren Kir­chen klä­ren.

Bau­maß Ist­maß
(m)
Soll­maß
(Fuß)
Soll­maß,
(m)
Ist­maß
–Soll­maß

(cm)
Süd­li­cher Turm: Breite in Ost-West-Richtung  6,53  21,00  6,58  –5,0
Süd­li­cher Turm: Breite in Nord-Süd-Richtung  5,75 18,50 5,80 5,0
Süd­li­cher Turm: Vor­sprung an der Süd­ost­seite 0,45 1,50 0,470 2,0
Breite der Vor­halle zwi­schen den Tür­men 4,74 15,00 4,70 4,0
Lang­haus: Innen­länge 15,05 48,00 15,05 0,0
Lang­haus: Breite nörd­li­che Außen­wand mit Sockel West­seite 1,27 3,50 1,097 17,3
Lang­haus: Breite süd­li­che Außen­wand mit Sockel West­seite 1,05 3,50 1,097 4,7
Lang­haus: Breite süd­li­che Außen­wand ohne Sockel West­seite 0,93 3,00 0,941 1,1
Lang­haus: Breite nörd­li­ches Sei­ten­schiff ohne Sockel West­seite 2,75 9,00 2,82 7,0
Lang­haus: Breite süd­li­ches Sei­ten­schiff ohne Sockel West­seite 2,85 9,00 2,82 3,0
Lang­haus: Breite nörd­li­che Mit­tel­schiff­wand West­seite 0,97 3,00 0,941 2,9
Lang­haus: Breite süd­li­che Mit­tel­schiff­wand West­seite 0,93 3,00 0,941 1,1
Lang­haus: Breite Mit­tel­schiff West­seite 5,68 18,00 5,64 4,0
Lang­haus: Außen­breite West­seite 15,50 49,00 15,36 14,0
Lang­haus: Außen­breite Ost­seite 15,43 49,00 15,36 7,0
Lang­haus: Innen­breite West­seite 13,18 42,00 13,17 1,0
Lang­haus: Säu­len­ab­stand Achs­maß (Mit­tel­wert) 3,77 12,00 3,76 1,0
Säu­len im Lang­haus: Höhe Säu­len­ba­sis 0,46 1,50 0,470 1,0
Säu­len im Lang­haus: Höhe Säu­len­schaft 1,91 6,00 1,881 2,9
Säu­len im Lang­haus: Höhe Kapi­tell + Kämp­f­er­platte 0,96 3,00 0,941 1,9
Säu­len im Lang­haus: Breite Kapi­tell 0,87 2,75 0,862 0,8
Quer­haus: Außen­breite der Vie­rung in Nord-Süd-Richtung 7,50 24,00 7,52 2,0
Quer­haus: Innen­breite der Vie­rung in Nord-Süd-Richtung 5,65 18,00 5,64 1,0
Quer­haus: Größte Breite der Kir­che 20,72 66,00 20,69 3,0
Haupt­ap­sis: Länge 3,18 10,00 3,14 4,0
Haupt­ap­sis: Breite 6,20 20,00 6,27 7,0
Gesamt­länge der Kir­che 40,1 128 40,13 3

 

Tab.1:Die Bau­maße an St. Aure­lius

 

Trotz die­ses offen­sicht­li­chen Bruchs ist es ange­sichts der auf­ge­zeig­ten Par­al­le­len den­noch nahe­lie­gend, dass das an St. Aure­lius vor­han­dene strenge, über ein Qua­dra­tras­ter ver­mit­telte Grund­riss­kon­zept auch Ein­fluss auf die Grund­riss­pla­nung an der Peters­kir­che genom­men hat.

Abb5 vor Renovierung 1954
Abb.6: Aure­li­us­kir­che Hirsau: Blick durch das Kir­chen­schiff nach Osten mit Zäh­rin­ger­grab. His­to­ri­sche Auf­nahme vor der Reno­vie­rung 1954.

 

Bild­nach­weis:

  • LAN­DES­DENK­MAL­AMT BADEN-WÜRTTEMBERG (Hrsg.): Hirsau. St. Peter und Paul 10911991. Stutt­gart, 1991: Abb.1, Hin­ter­grund der Gra­fi­ken von Abb.3 u. Abb.4: genaue Quel­len­an­gabe im Text.
  • PAU­LUS, Edu­ard d. J.: Die Kunst– und Altertums-Denkmale im König­reich Würt­tem­berg. Schwarz­wald– , Jagst– und Donau­kreis, Stutt­gart. Paul Neff, 1893: Abb.5.
  • Abb.2 stammt vom Ver­fas­ser.
  • Abb.6: L. Luz Hirsau.

 

Erst­ver­öf­fent­li­chung: 31.03.2015 unter: www.belsener-kapelle.de.

 

Autor:

Dr. Ste­fan Win­ter­man­tel
Drei­fürs­ten­stein­straße 32
72116 Mös­sin­gen
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